Wir müssen die PS auf die Straße bringen
75. Landesverbandstag NRW mit unverblümter Analyse
Dülmen – Ein fünfundsiebzigjähriges Jubiläum wäre unter normalen Voraussetzungen wahrlich ein Grund zum Feiern. So waren auch die Planungen des Landesfachverbands des Schornsteinfegerhandwerks Nordrhein-Westfalen ganz auf eine tolle öffentliche Feierstunde in der Landeshauptstadt im April dieses Jahrs ausgelegt. Doch die Pandemie und ihre zweite Welle machten einen dicken Strich dadurch.
So traf man sich, wie im vergangenen Jahr, zu einer reinen Arbeitstagung am 30.06.2021 in der Schornsteinfegerakademie in Dülmen.
Viele der angereisten Delegierten waren jedoch äußerst froh, dass man sich überhaupt einmal wieder in Präsenz sehen konnte. Auch wenn die Kommunikationstechniken unserer Zeit gut und wichtig sind, um den Kontakt und Austausch miteinander zu pflegen, geht doch nichts über ein persönliches Gespräch. Und diese Gespräche bot der Landesverbandstag.
Landesinnungsmeister Peeters fehlte krankheitsbedingt
Als besonderen Ehrengast konnte der stellvertretende Landesinnungsmeister, Dirk Franck, den Präsidenten des Schornsteinfegerhandwerk Oswald Wilhelm begrüßen.
Beide trugen in den letzten Monaten das gleiche Leid: Ihnen ist mit dem Landesinnungsmeister NRW ein wichtiges Vorstandsmitglied krankheitsbedingt abhandengekommen, welches sie ersetzen mussten. Sowohl im Bundes- wie auch Landesverband NRW mussten daher Doppelschichten gefahren werden. Für diesen Mehreinsatz gebührt ihnen unser aufrichtiger Dank, schließlich ist der normale Verbandsalltag schon seit jeher vollgefüllt mit Aufgaben zur Erledigung.
Inhaltlich standen dann aber primär die Zukunftsaussichten im Fokus. Und gerade die Rede des Präsidenten Wilhelm rüttelte viele auf.
Absage an Impf-Priorisierung der Schornsteinfeger
Doch bevor Wilhelm damit begann, stand der Dank im Vordergrund. Der Dank an alle Kolleginnen und Kollegen, die das Schornsteinfegerhandwerk gut durch die Corona-Krise gebracht haben. Jetzt, wo rund fünfzig Prozent der Bevölkerung geimpft sind, dürften auch anteilig gleich viele Schornsteinfeger eine Corona-Schutzimpfung erhalten haben. Eine Impf-Priorisierung für unser Gewerk sei daher nicht nötig. Zudem gibt es nach wie vor viele schützenswertere Berufsgruppen als die Schornsteinfeger. Insbesondere die Menschen, welche in ihrem Job an Menschen arbeiten.
Kommt die KÜO-Änderung noch 2021?
Der Präsident Wilhelm berichtete dann aber von seinen eigentlich wichtigsten Themenfeldern, mit denen sich derzeit der Bundesverband beschäftigt.
So bedauerte er, dass die Kehr- und Überprüfungsordnung im Bereich des Gebührenverzeichnisses immer noch nicht geändert werden konnte. Jedoch liegt aktuell der erste Entwurf vor, der Vorschläge für die hoheitlichen Gebührentatbestände der Tätigkeiten nach dem Gebäudeenergiegesetz vorsieht. Einige Vorschläge müssen hier noch diskutiert werden, bevor sich der Bund-Länder-Ausschuss in diesem Herbst mit dem Thema befassen wird.
Ebenso wie mit der geplanten Kehrbuch-Schnittstelle, die noch nicht zur Verfügung steht.
Zur geplanten Änderung der Ableitbedingungen der 1.Bundesimmissionsschutzverordnung hat man, nach Wilhelms Auffassung viel erreichen können. Jedoch ist er noch nicht ganz mit der rechtlichen Lösung zufrieden und hofft, im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch Optimierungsmöglichkeiten einbringen zu können. Derzeit erwartet man die Notifizierung der Gesetzesvorlage durch die Europäische Union.
2030 sieben Millionen Wärmepumpen erwartet
Wilhelm zeigte danach auf, in welche Richtung sich das Schornsteinfegerhandwerk zukünftig bewegen wird.
Bei der in zwei Jahren anstehenden großen Novelle der 1.Bundesimmissionsschutzverordnung wird man sich mit der Frage beschäftigen müssen, ob und wenn ja wer überhaupt noch Öl- und Gas-Feuerstätten messen wird? „Hier brauchen wir Geschlossenheit, um diese große Aufgabe zu meistern!“, rief der Präsident den Delegierten zu.
Kritisch betrachtete er sodann die Aussichten auf die nächsten Jahre. Umweltpolitisch stehen da nämlich Forderungen zu einem Wachstum von Wärmepumpen, aber auch dem Ausbau von Nah- und Fernwärme im Raum. So sollen, nach den Plänen des Bundesumweltministeriums bis zum Jahr 2030 sieben Millionen Wärmepumpen in Deutschland betrieben werden. Bis zum Jahr 2045 sogar sechzehn Millionen. Wenn man weiß, dass aktuell rund einundzwanzig Millionen Heizungsanlagen in Deutschland betrieben werden, kann man sich ausmalen wohin die Reise geht.
Gerade deshalb hat der Bundesverband bereits vor drei Jahren einen Ausschuss „Zukunft“ gegründet.
Die Ergebnisse und Lösungen, welche Möglichkeiten im Arbeitsbereich der Energie, Lüftung und Brandschutz liegen, müssen jetzt regional umgesetzt werden. „Nun müssen wir die PS auf die Straße bringen! Es müssen alle tätig werden und neue Aufgaben anbieten“, so Wilhelm.
Enttäuscht sah er sich, dass dies noch nicht alle begriffen haben. „Man kann den Hund nicht zum Jagen tragen“, fasste er die Passivität von einigen Kollegen trefflich zusammen.
Weitere aktuelle Themenfelder um die Ausbildungsoffensive, den anstehenden Bundesverbandstag oder auch die nachgelagerten Dezenzen um das Tarifwesen rundeten seinen guten Bericht ab.
Landesverbandsvorstand mit ausführlicher Berichterstattung
An diesen knüpfte Dirk Franck dann nahtlos an. Der Stellvertreter des Landesinnungsmeister ging auf die Corona-Auswirkungen im beruflichen Schulwesen ein und lobte den Leiter der Schornsteinfegerakademie Bernd Vollmer und sein Team ausdrücklich. „Die Umstellung auf Online-Schulungen, wie auch die gute Umsetzung der Hygienevorgaben für Präsenzschulungen gebühren unseren Respekt“, so Franck.
Auch Franck hob den bildlichen Zeigefinger und verwies auf Forderungen der Politik aus NRW, welche das Verbot von Einzelraumfeuerstätten für feste Brennstoffe beinhalte sowie den nicht richtigen Ansatz, alles auf eine kommunale Wärmeverteilung zu setzen.
Beängstigend sah Franck die Unfallzahlen der verunglückten Schornsteinfeger. Gerade zwei jüngste Todesfälle, die ohnehin sehr tragisch und schmerzvoll seien, haben u.a. auch die Bau- und Berufsgenossenschaft zum Handeln veranlasst. In aktuellen Entwürfen zu neuen BG-Regeln möchte man den Schornsteinfeger am liebsten vom Dach verbannen. Auch der Wechsel in eine höhere Schadensklasse unseres Handwerks liegt nahezu bevor und könnte einen höheren Pflichtbeitrag nach sich ziehen.
Der technische Landesinnungswart berichtete sodann über seinen Bereich. U.a. ging er auf die Änderung der Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmung (VV TB), die ZStat, Handlungsempfehlungen NRW und das Gebäudeenergiegesetz ein. Letzteres steht bereits jetzt schon wieder zur Novelle an, da einige kleine Fehler noch ausgemerzt werden sollen.
Trend gestoppt: 385 Auszubildende in NRW
Hans-Eberhard Kopp, der in NRW für die Berufsbildung zuständig ist, freute sich über den Anstieg der Auszubildendenzahlen. So lassen sich in NRW aktuell 385 junge Menschen zum Schornsteinfeger auszubilden. „Wir haben den Abwärtstrend gestoppt!“, so Kopp.
Detailliert ging der Landesberufsbildungswart ebenso auf die Statistiken zur Meisterprüfung ein. Sein Ausblick auf die in den nächsten Jahren benötigten Bewerber um einen Kehrbezirk war sehr getrübt.
In jedem Innungsbereich in NRW sind zu wenige Meister vorhanden, die sich um künftig freiwerdende Bezirke bewerben könnten.
Ebenso ernüchtert war Kopp über den anzunehmenden Wegfall von Kernaufgaben des Schornsteinfegerhandwerks. Hier rechnet der Landesfachverband NRW damit, dass im Jahr 2030 nur noch 69 % der Öl-und Gasfeuerstätten in Bezug auf das Jahr 2011 vorhanden sein werden. Auch er unterstrich die Eingangsprognose in der Rede des Präsidenten Wilhelm.
Peter Schäfers berichtete danach über die ersten Erkenntnisse des neuen Gütesiegels sowie der Zertifizierung unserer Schornsteinfegerakademie.
Mehr Anstand und Respekt in den sozialen Medien
Andreas Kramer zeigte auf, wie facettenreich und toll im vergangenen Jahr in allen Innungen in NRW aktive Öffentlichkeitsarbeit betrieben wurde. Kritisch sah er in der Beleuchtung der Öffentlichkeitsarbeit jedoch einige Veröffentlichungen des ZDS in den sozialen Medien. „Diese haben den Respekt und Anstand vor dem Gegenüber vermissen lassen und so ein negatives Bild auf das gesamte Schornsteinfegerhandwerk geworfen“, so der Pressesprecher des Landesfachverbandes.
Der Geschäftsführer Ralf Rosocha schloss dann mit seinem sehr ausführlichen Rechenschaftsbericht über die Finanzlage des Landesfachverbandes sowie der Schornsteinfegerakademie. „Trotz Corona sind wir gut aufgestellt und die Kasse stimmt“, so Rosocha.
Am Ende blieb noch die Hoffnung, im nächsten Jahr die Jubiläumsfeierlichkeiten in Düsseldorf nachholen zu können. Damit ist der Landesfachverband jedoch nicht alleine, denn feiern wollen wir alle wieder!
Andreas Kramer
Landesfachverband Nordrhein-Westfalen
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit